Wie alles begann…
Die Hongkonger Ärzte Dr. Wen und Dr. Cheng beschrieben 1973 in ihrer ersten Veröffentlichung, dass die tägliche Elektrostimulation des Akupunkturpunktes Lunge am Ohr die Entzugssymptomatik Opiumabhängiger und die Phase der Detoxifikation erheblich erleichtert [1]. Diese Entdeckung wurde zufällig gemacht, da sie die Ohr-Akupunktur lediglich als Analgesiemethode für Operationen eingesetzt hatten. Dabei stellte sich heraus, dass diese mit Akupunktur behandelten Patienten postoperativ weniger Entzugssymptome hatten und weniger Craving verspürten als nicht-genadelte Abhängige.
Und wie es fast…
Der Psychiater Dr. H.G. Marx [2] – ein Schüler der Akupunktur von Prof. Dr. Johannes Bischko (Wien) – beschrieb 1979 als erster für den deutschsprachigen Raum, dass Akupunktur ein wirksames Element in der Entzugsbehandlung von chronisch Alkohol- und Drogenkranken ist. Als erfahrener Suchtmediziner beobachtete und beschrieb er die Effekte von Akupunktur: Minderung von vegetativen Störungen, Minderung des Suchtverlangens (Craving), Verbesserung des physiologischen Schlafs, Reduzierung von Krampfanfällen, Verbesserung der Compliance für die gesamte Behandlung, gestärkte Motivation für die Phase von Therapie und Rehabilitation, günstige Effekte auf die Zusammenarbeit im Behandlungsteam. 1979 fanden seine Erfahrungen jedoch noch wenig Resonanz in der Fachwelt.
und wie es dann doch…
Der Psychiater Dr. Michael Smith und Mitarbeiter der Drogenambulanz des staatlichen Lincoln Hospitals in der Bronx/New York (Lincoln Recovery Center) bauten auf den Erfahrungen von Dr. Wen und Dr. Cheng auf und behandelten eine große Zahl von drogenabhängigen Patienten mit dieser Methode. Sie probierten weitere Ohrpunkte aus, fanden eine einfache und effektive Kombination von fünf Akupunkturpunkten im Ohr und entwickelten schließlich ein besonders geeignetes „Behandlungs-Setting“ für die qualifizierte ambulante und stationäre Entzugsbehandlung abhängiger Menschen [3, 4]. Auch stellte sich heraus, dass die einfache Nadelung der fünf Ohrpunkte bessere Effekte zeigte als die zunächst ausgeübte Elektrostimulation.
Es zeigte sich auch, dass diese Art von Ohrakupunktur unabhängig von der Art des Suchtmittels wirksam war und auch bei psychiatrischen Patienten Wirkung zeigte. Diese Behandlung am Lincoln Recovery Center wurde in den 1980er Jahren zu einem Modell, das sich in den USA als „Behandlung nach dem NADA Protokoll“ etablierte.
Das NADA Protokoll ist nicht nur Ohrakupunktur. Diese wird komplettiert durch einen Begegnungsstil zwischen Therapeut und Patient, der am besten mit niederschwellig, weil wertschätzend, non-konfrontativ und non-verbal, beschrieben werden kann. Während des Akupunktur-Settings werden keine Gespräche geführt, der Patient muss sich nicht zu den Gründen äußern, die ihn in die Behandlung führen, er muss sich nicht rechtfertigen. Empfohlen wird, die Behandlung in der Gruppe durchzuführen.
so richtig weiterlief.
Die NADA (National Acupuncture Detoxification Association) wurde 1985 in New York gegründet mit dem Ziel, diese Behandlung zu etablieren, sie wissenschaftlich zu evaluieren und für eine gute Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet zu sorgen.
Elisabeth Stuyt, die langjährige Vorsitzende der NADA-USA, schätzt die Zahl der weltweit ausgebildeten NADA-Therapeuten auf 25.000. [5] In den letzten 15 Jahren wurde das NADA-Protokoll zunehmend auch in psychiatrischen Kliniken eingesetzt, auch bei Menschen in posttraumatischen Belastungssituationen bei sozialen, politischen und Naturkatastrophen (siehe unter Publikationen) und für Einsatzkräfte wie Feuerwehrleute und Polizisten.
Die Organisation Acupuncturists Without Borders hatte Einsätze in 30 Ländern weltweit, hat 3500 Therapeuten ausgebildet und 1 Million Behandlungen durchgeführt (Stand Anfang 2017) [6]
Ein gutes Beispiel für die Arbeit mit dem NADA Protokoll bietet die Fachklinik Bokholt nördlich von Hamburg (Drogenentzug für Jugendliche und Erwachsene). Die Jugendlichen können zwischen opiatgestütztem oder NADA-basiertem Entzug wählen. Bei Erwachsenen wird nur das NADA-Protokoll, optimiert durch einige Punkte der Körper-Akupunktur, vor allem für den Schlaf, eingesetzt. Bereits 2012 waren mehr als 10.000 PatientInnen auf diese Weise entzogen worden. Die Klinik zeichnet sich durch eine sehr hohe Haltequote von fast 90% aus. [7]
Die NADA – Deutsche Sektion wurde 1993 gegründet und ist weltweit die zweitgrößte NADA-Gruppe. NADA erreichte schließlich auch die kleine Alpenrepublik. NADA Österreich wurde 2006 gegründet.
Literatur:
- Wen H, Cheung S. Treatment of drug addiction by acupuncture and electrical stimulation.Asian Journal of Medicine 1973; 9: 138-141
- Marx HG. Medikamentenfreie Entgiftung von Suchtkranken. Bericht über den Einsatz von Akupunktur.Suchtgefahren 1984; 30-34
- Smith MO. Acupuncture treatment for crack: clinical survey of 1.500 patients treated. Am. J. Acup. 1988; 16: 241-247
- Smith MO, Khan I. An Acupuncture Programme for the Treatment of Drug-addicted Persons. Bulletin on Narcotics 1988; 40,1: 35-41
- Stuyt EB, Voyles CA. The National Acupuncture Detoxification Association protocol, auricular acupuncture to support patients with subsxtance abuse and behavioral heath disorders: current perspectives.Subst Abuse Rehabil. 2016;7:169-180.
- Acupuncturists without Borders.www.acuwithoutborders.org(5. 1. 2017)
- Weidig W. Akupunktur in Sucht und Psyche – Ein Update. Dt Ztschr f Akup. 2012;55,3:11-15
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